Echte Inklusion beginnt nicht in Konzeptpapieren oder auf bunten Plakaten, sondern mitten im Alltag – in der Schule, am Spielplatz, beim Elternabend. Es sind die kleinen Momente, die zeigen, ob ein Kind wirklich gesehen wird oder ob es ausgegrenzt bleibt.
Ich möchte hier eine Erfahrung teilen, die uns als Familie zutiefst geprägt hat – und die mir klar gemacht hat, wie viel wir als Eltern, Lehrer und Gesellschaft noch lernen müssen.
Unsere Geschichte
Mein Sohn mit ASS hat in den letzten Wochen erlebt, was viele Eltern fürchten: Hänseleien, Schubsen, Mobbing. Kinder, die nicht gelernt haben, Unterschiedlichkeit zu akzeptieren, haben ihn verletzt – körperlich wie seelisch.
Die Folge: Ein Termin beim Jugendamt. Klingt nach Hilfe, oder? Doch dort fühlte ich mich mit meinen Sorgen kaum ernst genommen. Als man meinen Sohn mit gerade einmal sieben Jahren allein befragen wollte, wehrte ich mich. Ich wollte ihn schützen – und erlebte stattdessen, wie ich von Mitarbeitern als „überempfindlich“ angesehen wurde.
Alles, was wir in den letzten Monaten mit Tränen, Geduld und harter Arbeit aufgebaut hatten, schien plötzlich wieder in Gefahr. Mein Sohn entwickelte neue Ängste, eine innere Aggressivität, begann zu lügen – nicht aus Bosheit, sondern aus Schutz. Er hat Angst, dass ich oder sein Bonuspapa nicht wiederkommen, wenn wir arbeiten gehen. Er erkennt kaum noch, was Spaß und was Ernst ist.
Ein Schlüsselerlebnis in der Schule
Besonders deutlich wurde das bei einem Vorfall in der Schule. Ich bekam einen Anruf von der Direktorin: „Bitte kommen Sie sofort. Ihr Sohn hat einen Wutanfall, wir können ihn nicht beruhigen.“
Als ich ankam, war die Sozialpädagogin erschöpft, der Klassenlehrer nicht auffindbar – und mein Sohn völlig aufgelöst. Doch was ich sah, war kein „Wutanfall“. Es war ein ASS-Schub.
Er kauerte allein im Altbau-Trakt, den Körper angespannt, erschöpft und voller Wut. Ich hockte mich neben ihn, berührte ihn nicht, sprach leise. Nach einer Weile öffnete er sich, erzählte, was passiert war. Ich trug ihn zurück, er klammerte sich an mich wie ein Baby. Vor der Klasse beruhigten wir uns gemeinsam mit unserem Atemritual, das er „Drachenatmung“ nennt.
Die Sozialpädagogin kommentierte nur: „Na, hat er seinen Wutanfall fertig?“ – und mein Sohn schrie: „Du bist schuld! Du hast mein Stofftier kaputt gemacht!“ Sein kleiner Zufluchtsort, sein „Lapubu“, war zerstört worden. Ob es so geschehen war, bleibt unklar. Aber für mein Kind war es Realität – und diese Wunde bleibt. Kinder mit ASS vergessen solche Erfahrungen nicht.
Was das bedeutet
Seit diesem Tag verbindet mein Sohn Schule mit Angst. Vertrauen ist zerbrochen. Auch im Elterngespräch erklärte ich, wie ernst die Situation ist: dass mein Sohn gemobbt wird, dass Gewalt im Spiel ist, dass sogar Misshandlung im Raum steht. Zum ersten Mal hörte ich von Lehrern auch die Frage: „Wie sollen wir mit ihm umgehen?“
Das hat mir gezeigt: Viele wollen helfen – aber sie wissen nicht wie.
Meine Vorschläge für echte Inklusion
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Unterschiedlichkeit akzeptieren. Kinder müssen lernen: Anders sein ist kein Makel.
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Barrieren abbauen. Ein ruhiger Rückzugsort oder visuelle Hilfen sind keine Extras, sondern notwendig.
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Aufeinander zugehen. Eltern, Lehrer, Pädagogen – wir müssen im Gespräch bleiben, nicht übereinander, sondern miteinander reden.
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Kinder stark machen. Nicht nur mein Sohn braucht Unterstützung, sondern auch die Kinder, die lernen müssen, fair mit Vielfalt umzugehen.
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Gemeinsame Aktivitäten fördern. Wenn Kinder erleben, dass jeder etwas beitragen kann, wächst Verständnis.
Mein Fazit
Inklusion bedeutet nicht, Probleme schönzureden. Sie bedeutet, hinzusehen, Verantwortung zu übernehmen und Kinder so anzunehmen, wie sie sind. Für meinen Sohn ist es überlebenswichtig, nicht nur „toleriert“, sondern wirklich verstanden zu werden.
An alle Eltern, die Ähnliches erleben: Ihr seid nicht allein. Es kostet Kraft, Nerven und manchmal unzählige Tränen – aber unsere Kinder brauchen uns als ihre Stimme.
Und an die Gesellschaft: Inklusion beginnt da, wo wir aufhören, Unterschiede zu bewerten – und anfangen, sie zu akzeptieren.